for 24 voices (6/6/6/6) [30′]
(in Hebrew, Aramaic and French) Texte
Commissioned by Südwestrundfunk
First performance: 3 February 2018, Stuttgart. SWR Vokalensemble – Rupert Huber (conductor)
© Sikorski, Hamburg · score: sik 8665
CD: NEOS 11828
voiced void ist ein großangelegtes Chorwerk aus meinem void-Zyklus, der »Leere« insofern thematisiert, als er zur Sprache bringen will, was uns fehlt. Dazu gehört ein messianisches Denken, das der jüdischen Kultur eine zentrale Bedeutung einnimmt, die der Kulturbruch in Europa zerstörte. Messianismus bedeutet dort nichts Religiöses, sondern etwas eminent Politisches: daß eines Tages eine gerechte Regierung auf der ganzen Welt die Schöpfung vollenden werde. Der Schlüsseltext stammt von einem der größten jüdischen Philosophen, von Moses Maimonides (ca. 1135-1204), in dessen Buch Mischne Tora, im 11. und 12 Abschnitt aus Hilchot Melachim, er die Einsetzung des König-Messias diskutiert. Diesen langen Text vertone ich, und zwar in der Originalsprache. Die Transkription des original ohne Vokalzeichen geschriebenen Textes bereitete mir mehr Probleme als die Komposition selbst. Zum Glück hatte ich Hilfe von Judaisten und Israeli. Ergänzt wird der Text von verstreuten Zitaten aus dem Talmud über den Messias und die messianischen Tage (dort auch auf aramäisch). Die Auswahl verdanke ich Francesca Yardenit Albertini, der jüdischen Religionsphilosophin, meiner 2011 verstorbenen Frau, der das Stück gewidmet ist. An einer Stelle wird der Talmud sehr konkret: Die messianischen Tage zeichnen sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krieg und Hunger aus, sondern auch durch die von Mißgunst und Zwietracht. Die beiden ersten Ziele sind heutzutage völkerrechtlicher Konsens, die beiden anderen nicht einmal in Ansätzen verwirklicht. Daher ist ein messianisches Denken, das nicht nur formal bleibt, sondern bis an die anthropologischen Wurzeln, an die Ethik des Zusammenlebens der Völker und Menschen in ihrer Heterogenität vordringt, erforderlich.
Dem Text folgend hat das Werk fünf Abschnitte. Hinzu kommt vor dem letzten ein Intermezzo der Soprane, die in einem sechsstimmigen Krebskanon einen Text des franzöischen Philosophen Emmanuel Lévinas über den Messias singen, der gleichsam die Kernaussage enthält: Jeder Mensch sei im Prinzip der Messias, wenn er sich nur so verhielte, als sei er es, wodurch natürlich der Messias, sofern als Wundermann am Ende der Tage gedacht, genau überflüssig wird. Um es mit Kafka zu sagen: „Der Messias wird erst kommen, wenn er nicht mehr nötig sein wird, er wird erst einen Tag nach seiner Ankunft kommen, er wird nicht am letzten kommen, sondern am allerletzten.“
Die Ästhetik dieses Werkes ist nicht subjektorientiert. Die Klarheit des Textes, der Wort für Wort vertont wird, steht im Mittelpunkt. Der Text soll mit dem Ernst eines »heiligen«, sozusagen alttestamentarischen Hintergrunds dargeboten werden. Die Talmudtexte werden psalmodierend dem Hauptgeschehen überlagert, die Bibelzitate von den Männerstimmen frei gesprochen. Schlüsselwörter (wie mashiach oder jisrael) werden homophon mit klaren Kadenzen markiert. Der letzte Abschnitt geht in Klang über. Am Ende wird »tiqqun ha’olam« (»Wiederherstellung der Welt«) geflüstert, wie zu Beginn »hevlo shel mashiach« (»Die Geburtswehen des Messias«).
Die ersten Gespräche über ein Chorwerk für das SWR-Vokalensemble gingen auf die frühen 2000er Jahre mit Hans Peter Jahn zurück. 2006 erfolgte der Auftrag; 2008 komponierte ich das Werk. Widrige Umstände verschulden die späte Uraufführung, gleichwohl nun mit einem kongenialen Dirigenten, der mir bei der Revision der Partitur unverzichtbare Hilfe war: Rupert Huber. Ohne ihn wäre ich an diesem Stück verzweifelt.
Wer sich mehr für dieses politische und jüdische Thema interessiert, dem seien meine beiden letzten Bücher empfohlen: »Deutschland oder Jerusalem. Das kurze Leben der Francesca Albertini«, die Biographie meiner Frau, sowie das philosophische Buch »Von der messianischen Freiheit. Weltgesellschaft – Kunst – Musik«.
Claus-Steffen Mahnkopf
voiced void
SWR Vokalensemble – Rupert Huber (conductor)