D’avance
D’avance geht auf eine Anregung des Quartetts Avance zurück. Ich muß gestehen, daß die Besetzung Klavier, Klarinette, Posaune und Violoncello zwar reizt, aber wegen der disparaten Klangelemente den Komponisten vor einige Schwierigkeiten stellt. Andererseits habe ich meinen „komplexistischen“ Stil immer über Polyphonie und Differenzerzeugung definiert, und so nahm ich die Herausforderung an. Wenn schon, so meine sicherlich etwas überspitzte Eingangsüberlegung, die vier Instrumente nichts miteinander zu tun haben, dann werde ich just dies zum Ausgangspunkt machen. Das Thema soll sein: Die vier Spieler verfehlen sich immer gerade doch, wenn sie versuchen zusammenzukommen (im Sinne eines „homogen“ regulierten Kammermusikideals). Die vier Parts sind streng kanonisch, allerdings mit einer Versetzung um ein Viertel der Gesamtlänge (man wird also davon glücklicherweise wenig vernehmen), verbunden durch vier mittellange Soli als Quasi-Kadenzen. Während die Spieler unbeirrt ihren Parts folgen, fungiert das Klavier überdies als metronomisierende Triggerinstanz und löst ab und an cantus-firmus-artige Linien getragener Achteln in der Mittellage aus, denen die drei „Melodie“-Instrumenten zu folgen haben, aber zusätzlich zu ihren dessen unbeschadet weiterlaufenden Stimmen, so daß sie gezwungen sind, äußerst geschickt und rasch zwischen den beiden rhythmisch getrennt notierten Systemen hin- und herzuspringen, um dadurch zu demonstrieren, daß sie gerade nicht zusammenspielen. Das ist weniger zynisch gemeint, als es scheinen mag – eher geht es mir um eine weitere Möglichkeit, die verschiedenen Dissoziationsmöglichkeiten, die die Polyphonie bietet, auszuloten.
Das Stück wurde 1996/97 komponiert und ist den Mitgliedern des Quartetts Avance gewidmet.
(Claus-Steffen Mahnkopf)