Dov’è?

Dov’è?

Als im März 2011 meine Frau, die jüdische Religionsphilosophin Francesca Yardenit Albertini, starb, konnte ich nichts anders, als die Erinnerung an sie wachzuhalten, indem ich zum einen ein Buch über sie schrieb (Deutschland oder Jerusalem. Das kurze Leben der Francesca Albertini, 2013), zum anderen beschloß, ein Erinnerungswerk zu komponieren. Aber kein Requiem, sondern ein Porträt. Francesca betätigte sich in jungen Jahren als Schriftstellerin und wurde sogar ins italienische Fernsehen eingeladen. Diese Episode währte kurz, aber ich fand in ihrem Nachlaß zahlreiche Jugendgedichte, die sie zwischen 17 und 20 Jahren schrieb. Aus diesen wählte ich zehn aus. Sie kreisen um die Themen Wahrheit, Tod, Schmerz, Vergessenwerden, Michelangelo, Morgendämmerung, Entwurzelung, Briefe, Denken, Qual und Schatten. Diese werden in 5 Großstrophen gesungen, vom Orchester begleitet. Zugleich erhält fast jedes Instrument ein Solo, das im Tempo unabhängig vom Orchester spielt. Auch sind einige Zwischenspiele eingeschoben, die eine Narration ergibt, die unserem gemeinsamen 13jährigen Lebenweg folgt.

 

Das zentrale Gedicht lautet:

 

Dove sono i morti?                        (Wo sind die Toten?

Dentro di noi.                        Drinnen in uns.

Un cadavere resuscita                        Ein Leichnam steht auf von den Toten

ad ogni pensiero.                        bei jedem Gedanken.)

 

Auch fast 8 Jahre nach ihrem Tod ist dieser emotional nicht akzeptieren. Man gewöhnt sich an den Tatbetand, aber letztlich ist der Tod einer geliebten Person unausdenklich und stellt eine unauflösliche Paradoxie der eigenen Existenz dar, vor allem wenn sie 36jährig durch einen Unfall aus dem Leben jäh gerissen wurde. Im Februar 2018 hielt Menachem Ben-Sasson, der Kanzler der Jüdischen Universität Jerusalem, die Francesca Yardenit Albertini Vorlesung an der FU Berlin. An Francescas Lächeln, so Ben-Sasson, werde sich in Jerusalem heute noch, 16 Jahre nach ihrem zweijährigen Forschungsaufenthalt, erinnert. Dieses Lächeln versuche ich mit diesem Werk einzufangen. „Dov’è?“ heißt auf deutsch: „Wo ist er/sie/es?“

(Claus-Steffen Mahnkopf)