»il faut continuer«. Requiem für Samuel Beckett
Samuel Becketts Tod bedeutet für mich das endgültige Absterben derjenigen Generation von Künstlern und derjenigen Kunsthaltung, die das Zentrum des modernistischen 20. Jahrhunderts insofern prägten, als sie sowohl der ethischen Verpflichtung künstlerischer Tuns als auch, und dies emphatisch, der Eigenlogik der Kunst, dem, was sie selber gebietet, unverbrüchlich die Treue hielten und damit sich als resistent erwiesen dem gegenüber, dem viele Spätergeborene erlagen: der sich einschleichenden Kompromißlerischkeit zugunsten einer angeblich höheren Wirksamkeit oder der (zynischen) Preisgabe von Verantwortlichkeit überhaupt zugunsten einer neuen Form „selbstgenügsamen“ Spielens. Das „il faut continuer, je vais continuer“, mit dem Becketts episches Chef d’œuvre endet, ist die Aufforderung an den Künstler, unabhängig von der realen Mächtigkeit der Kunst im sozialen Raum, diese zu kontinuieren, nachdem sie sich ohnehin längst zu einem autonomen und autopoietisch sich selbst reproduzierenden kulturellen Subsystem wandelte. Gleichzeitig steht Becketts Diktums für die verweigerte und weiterhin zu verweigernde Preisgabe der ethischen Dimension künstlerischer Unbeugsamkeit. Dem diametralen Widerspruch zwischen Becketts Ästhetik der Selbstnegation, des Verstummens, des Schweigens und dem maximalistisch-komplexistischen Ansatz meiner eigenen Musik suchte ich durch zwei Strategien zu begegnen: zum einen durch die relative Ausdünnung des Gestischen gegenüber der Dichte in meinen übrigen Werken, zum anderen durch eine aneinanderreihende Abfolge von dem Prinzip des stilus luxurians verpflichteten Episoden, deren reiches und heterogenes Innenleben zwar Konsequenzen für das weitere diskursive Geschehen suggeriert, die dadurch aber zur Emergenz gebrachten Perspektiven bewußt nicht im Sinne finaler Stringenz bündelt und „auf den Begriff“ bringt, sondern in ihrem vagen und distanzierten Vorbeiziehen mit dem deutlichen Eindruck partiellen kulturellen Überflusses ohne funktionale Einbettung in ethischen Dimensionen beläßt. Die Assoziation mit einem latenten Trauermarsch, mit einem Schreiten entlang dem, woran sich ein Interesse als Desinteresse entpuppt, ist nicht unerwünscht.
(Claus-Steffen Mahnkopf)