memor sum

memor sum

Mein Bratschenstück, das Barbara Maurer gewidmet ist, enstand im Herbst 1989 unmittelbar nach Beendigung meines Ersten Streichquartetts, mit dem es, zusammen mit Paralipomenon (für Streichquartett), eine Werkgruppe bildet, weil alle drei Stücke auf der Ebene des verwendeten musikalischen Materials verwandt sind. Ziemlich am Ende des Streichquartetts befindet sich, sozusagen als „negative Klimax“, ein längeres hochmelancholisches Bratschensolo, dessen Melodik durch eine besondere Spieltechnik innerlich gebrochen wird. Diese Idee habe ich für memor sum (dt.: „ich bin eingedenk“) übernommen, das aufgrund des entfernt-quasisurrealen Klangeindrucks des permanenten piano und der fragil-wackeligen Melodik von einer „kryptogrammatischen Lyrizität“ ist. Der Spieltechnik liegt folgender Ansatz zugrunde: Jeder Ton des (sehr langsamen) „cantus firmus“ wird zugleich auf zwei Saiten gegriffen, jedoch stets in genau notierten mikrotonalen oder kleineren glissandierenden Abweichungen. Zugleich gibt ein zweites Notensystem exakt die Bogenführung auf diesen beiden Saiten an, je nachdem abwechselnd oder zusammen. Folge ist entweder eine mikrotonale „Verschmutzung“ des Klangbildes oder eine Art von rechteckigem Vibrato, dessen Größen ich mittels dieser Notation genau steuern kann. Die Form ist symmetrisch mit kontrastierendem Mittelteil, in dem die Melodik konventionell einstimmig, dafür aber durchgängig sich selbst „verstimmend“ (mittels mikrotonaler Glissandi) ist.

(Claus-Steffen Mahnkopf)