Prospero-Fragmente

Prospero Fragmente

Prospero Fragmente sind ein Teil meines Prospero-Zyklus, worin Prospero’s Epilogue für Klavier und Orchester, komponiert für die Salzburger Festspiele 2005, das Hauptstück ist. Das andere Nebenstück ist der Beethoven-Kommentar, eine Rekomposition des Menuetts, der 33. Diabelli-Variation. In meiner Hamburger Zeit 1991 nutzte ich vor allem den Vorzug großartiger Theateraufführungen. Unvergessen ist mir Ulrich Wildgruber, wenn auch nicht so sehr, als er den Prospero aus Shakespeares The Tempest spielte, und die La Tempête-Inszenierung von Peter Brook als Gastspiel. Das mag der eine Hintergrund für die Wahl meines Sujets sein. Der andere ist die Frage nach dem Verzeihen, die mich seit längerem umtreibt. Das Verzeihen ist ein extrem komplexer Vorgang, denn er bezieht sich nicht nur darauf, einem anderen Menschen etwas zu verzeihen, sondern auch und vor allem, sich selber etwas verzeihen zu können. Und: was heißt das auf dem kollektiven Niveau, für die Konflikte zwischen Völkern, Nationen, Glaubensgemeinschaften? Vor allem beunruhigt mich die Frage: Die deutsche Kultur wird irgendwann einmal sich selber verzeihen müssen, was sie mit dem sogenannten Dritten Reich der Welt angetan hat – ein Prozeß, der nur als aktiver vorgestellt werden kann. Wie wird das von sich gehen? Einen solchen aktiven Prozeß nachzuzeichnen, ist in die Formidee des Klavierkonzerts eingewandert. Sie besteht, neben einem Prolog und Epilog, aus drei Teilen, deren erster etwas darstellt, was verziehen werden muß. Demgemäß habe ich versucht, wenn schon nicht das Böse, so doch etwas Schändliches darzustellen, sozusagen eine musikalische Beleidigung. Der Mittelteil versucht, genau das zu verarbeiten und sich damit versöhnend anzufreunden, es also letztlich zu verzeihen, indem es assimiliert wird an einen Zustand „jenseits“. Der im dritten Teil folgt: ein Idyll, eine naturhafte Ruhe, eine gelassene Folge. Formal unterlegt ist die Folge der 33 Diabelli-Variationen, deren 33. exakt an den Beethoven-Kommentar im Klavier anschließt, um zum Epilog zu führen. Es ist frappierend, daß Prospero am Ende von The Tempest selbst den ärgsten Widersachern verzeiht, verzeihen kann. Er sagt: „As you from crimes would pardoned be, Let your indulgence set me free.“ Vielleicht weil er die befreiende Wirkung des Verzeihens erkannt hat, vielleicht weil ihm dies im Angesicht der Liebe seiner Tochter Miranda zu Ferdinand nun leicht fällt, jener Miranda, die eine Vision einer befreiten Menschheit hat: „O wonder! How many goodly creatures are there here! How beauteous mankind is! O brave new world that has such people in’t!“ Zusammengehalten wir die gesamte Musik vom Wunsch nach einem schwingenden tänzerischen Dreierrhythmus, der bald verhindert und erstickt (bzw. ad absurdum geführt) wird, bald sich freikämpft, schließlich losgelassen wird. Des weiteren verwandelt sich die musikalische Faktur von einem Orchesterstück zu Kammermusik, von automatisierten Verfahren zu „informellen“. Schließlich arbeite ich mit der Zwölftontechnik. Die Reihe verändert sich im zweiten Teil, so daß der dritte mit der dümmsten Zwölftonreihe, die es gibt, auskommen muß: der chromatischen Tonleiter. Daß alle Intervalle – wenigstens theoretisch – gleich sind, mag für Friedlichkeit stehen, daß aus musikalischen Gründen natürlich gegen diese Reihe gearbeitet werden muß, dafür sorgen, da solche Vorgesellschaftlichkeit alles andere als naiv ist. Für das Klaviersolostück Prospero-Fragmente entnahm ich aus dem Klavierpart des Konzertes eine bestimmte Anzahl von Fragmenten, die, ohne die ursprüngliche Reihenfolge im Konzert beizubehalten, zu einer neuen Konstellation zusammengestellt und mit vom Interpreten sehr frei zu gestaltenden Klangtakten verbunden wurden.

(Claus-Steffen Mahnkopf)