Prospero’s Epilogue
Ein Klavierkonzert zu komponieren, wäre mir nicht in den Sinn gekommen, wenn es nicht Sophie-Mayuko Vetter gäbe. Sie spielte die Uraufführung der solistischen Fassung von Le rêve d’ange nouveau 2001 so hinreißend, daß ich mir sagte, sollte ich einmal ein Klavierkonzert schreiben, dann für sie. So kam es, daß ich 2003 die Einladung Peter Ruzickas zu einem größeren Werk annahm. Ich kenne Mayuko seit über 10 Jahren. Sie machte bei mir als 16jährige in den theoretischen Fächern die Aufnahmeprüfung, wofür sie keine drei Minuten brauchte, da sie alles bereits konnte. Nach einem Semester legte sie die Zwischenprüfung ab, im zweiten schrieb sie die Diplomarbeit über Beethovens Klaviersonate in E-Dur op. 109. Im Tristanseminar war die sie einzige, die folgen konnte, wenn ich glaubte, die Studenten überfordern zu müssen. Als ich sie, 17jährig, zum ersten Mal auf dem Podium hörte – mit Busonis Bachchaconne -, war ich zu Tränen gerührt. Das war nicht nur einfach Weltniveau, sondern es war eine an den ganzen Menschen gerichtete Interpretation, die sich ganz in den Dienst der Musik stellt und jedwedes Podiumsgehabe vermissen läßt. Ein junges Genie. Bald entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, getragen von einem seltenen Gleichklang darin, was Musik bedeutet und wie wir sie empfinden. So ist es mir eine Ehre, für diese begnadete Musikerin ein Werk schreiben zu dürfen. Prospero’s Epilogue ist das Hauptstück meines Prospero-Zyklus. Die beiden Nebenstücke sind der Beethoven-Kommentar, eine Rekomposition des Menuetts, der 33. Diabelli-Variation, und die Prospero-Fragmente, ein größeres Klavierwerk mit Materialien aus dem Klavierpart des Konzerts. In meiner Hamburger Zeit 1991 nutzte ich vor allem den Vorzug großartiger Theateraufführungen. Unvergessen ist mir Ulrich Wildgruber, wenn auch nicht so sehr, als er den Prospero aus Shakespeares The Tempest spielte, und die La Tempête-Inszenierung von Peter Brook als Gastspiel. Das mag der eine Hintergrund für die Wahl meines Sujets sein. Der andere ist die Frage nach dem Verzeihen, die mich seit längerem umtreibt. Das Verzeihen ist ein extrem komplexer Vorgang, denn er bezieht sich nicht nur darauf, einem anderen Menschen etwas zu verzeihen, sondern auch und vor allem, sich selber etwas verzeihen zu können. Und: was heißt das auf dem kollektiven Niveau, für die Konflikte zwischen Völkern, Nationen, Glaubensgemeinschaften? Vor allem beunruhigt mich die Frage: Die deutsche Kultur wird irgendwann einmal sich selber verzeihen müssen, was sie mit dem sogenannten Dritten Reich der Welt angetan hat – ein Prozeß, der nur als aktiver vorgestellt werden kann. Wie wird das von sich gehen? Einen solchen aktiven Prozeß nachzuzeichnen, ist in die Formidee des Klavierkonzerts eingewandert. Sie besteht, neben einem Prolog und Epilog, aus drei Teilen, deren erster etwas darstellt, was verziehen werden muß. Demgemäß habe ich versucht, wenn schon nicht das Böse, so doch etwas Schändliches darzustellen, sozusagen eine musikalische Beleidigung. Der Mittelteil versucht, genau das zu verarbeiten und sich damit versöhnend anzufreunden, es also letztlich zu verzeihen, indem es assimiliert wird an einen Zustand „jenseits“. Der im dritten Teil folgt: ein Idyll, eine naturhafte Ruhe, eine gelassene Folge. Formal unterlegt ist die Folge der 33 Diabelli-Variationen, deren 33. exakt an den Beethoven-Kommentar im Klavier anschließt, um zum Epilog zu führen. Es ist frappierend, daß Prospero am Ende von The Tempest selbst den ärgsten Widersachern verzeiht, verzeihen kann. Er sagt: „As you from crimes would pardoned be, Let your indulgence set me free.“ Vielleicht weil er die befreiende Wirkung des Verzeihens erkannt hat, vielleicht weil ihm dies im Angesicht der Liebe seiner Tochter Miranda zu Ferdinand nun leicht fällt, jener Miranda, die eine Vision einer befreiten Menschheit hat: „O wonder! How many goodly creatures are there here! How beauteous mankind is! O brave new world that has such people in’t!“ Zusammengehalten wir die gesamte Musik vom Wunsch nach einem schwingenden tänzerischen Dreierrhythmus, der bald verhindert und erstickt (bzw. ad absurdum geführt) wird, bald sich freikämpft, schließlich losgelassen wird. Des weiteren verwandelt sich die musikalische Faktur von einem Orchesterstück zu Kammermusik, von automatisierten Verfahren zu „informellen“. Schließlich arbeite ich mit der Zwölftontechnik. Die Reihe verändert sich im zweiten Teil, so daß der dritte mit der dümmsten Zwölftonreihe, die es gibt, auskommen muß: der chromatischen Tonleiter. Daß alle Intervalle – wenigstens theoretisch – gleich sind, mag für Friedlichkeit stehen, daß aus musikalischen Gründen natürlich gegen diese Reihe gearbeitet werden muß, dafür sorgen, da solche Vorgesellschaftlichkeit alles andere als naiv ist.
(Claus-Steffen Mahnkopf)